




„Die uns Menschen angeborene Religiosität ist unsere Fähigkeit, vom Großen Geheimnis des Seins berührt zu werden. … Wir können es zwar verstehen, wenn es uns ergreift, können es aber nicht durch Worte und Begriffe in den Griff bekommen. In dieser Ergriffenheit setzt die mythische Aussage ein. Sie ist ein Dichten, das den tiefsten Einsichten des menschlichen Herzens erlaubt, durch Worte zu wirken, bei denen freilich immer mitschwingt, dass sie nur Bilder sind aus der Erfahrung mystischer Wirklichkeit.
…
Das Mystische gehört zur Religiosität und drückt sich in der Religion mythisch aus. Die typischen Erlebnisse von Mystikern, also mystische Erlebnisse, sind Augenblicke tiefer Ergriffenheit, in denen wir etwas vom innersten Geheimnis des Lebens erahnen. Was uns da bewusst wird, ist unaussprechlich, weil wir es nicht „be-greifen“ können. Es macht uns sprachlos. Wir können es jedoch „einsehen“. Auf diese mystischen Einsichten des menschlichen Herzens kann nur eine Sprache hindeuten, die dichterisch ist. Wenn sie das ist, dann entsteht ein Mythos. Die Mythen der Menschheit und mythische Elemente im Werk großer Dichter haben dies gemein: Sie weisen durch Bilder auf Unsichtbares hin, durch Worte auf Unaussprechliches.“
aus: David Steindl-Rast, Alexandra Kreuzeder, HerzWerk, Tyrolia Verlag, Innsbruck, 2025, S. 17-19