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Anhaltender Nachklang: dankbar leben Wochenende

Aktualisiert: 21. Juli

Das Wunder von Steyr


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Persönlicher Nachklang zum dankbar-leben-Wochenende „Auf zu neuen Ufern“

2.-4. Mai 2025 im Dominikanerhaus und an den Flüssen der Stadt Steyr

 

Ihr Lieben,


mit dieser Überschrift vom Wunder lehne ich mich sehr weit aus dem Fenster. Aber DAS war das erste, was ich nach dem Seminar überdeutlich spürte und wusste.


Mein Versuch auch zu sagen, warum, misslang mir freilich erst einmal völlig. Das soll mich aber nicht wundern: Als Jesus zehn Lepra-Kranke – Aussätzige, Verworfene … – geheilt hatte, trug er ihnen auf, sich den Priestern vorzustellen, auch um wieder in die Gesellschaft aufgenommen zu werden. Einer nur kam zurück, sich zu bedanken und Gott zu preisen – und der war ein „Glaubens-Fremder“ … (Lukas-Evangelium 17, 11-18; vgl. Jeremias 25, 8-11 als Mahnung für die Kirche):


Die Tiefe eines Wunders zu begreifen, sogar und vielleicht gerade am eigenen Leibe, scheint eine schwierige Übung zu sein.


Warum eigentlich?


Wunder, so sagte es David Crean in einem Seminar in Zwischenwasser (Vorarlberg), Wunder sind nicht zuerst so etwas wie: jemand  wandelt auf dem Wasser.


Sondern Wunder sind zuerst dieses „Wandeln“ an sich: Verwandlung: Immer wieder schlägt die innere Energie an die nicht selten traumatisch geprägten harten Grenzen eines alten Lebensgefüges, das Wasser des Flusses an die Ufer, der Atem des Lebens an die in einer abgebrochenen Bewegung erstarrt scheinenden Verwirbelungen der Energie, die Formen also unserer, meiner Lebens-Gestalt(en).


Zugleich bin und erfahre ich aber (lange fast unbewusst) liebe andere Menschen als Gefäße und Kanäle des Göttlichen, das sich jenseits von Zeit und Raum mit unserer inneren Energie in Verbindung setzt und vielleicht alle hundert Sekunden neu auf andere Weise nach der Durchlässigkeit und Wandlung der Form fragt (so die in der Craniosacralen Therapie spürbare Long Tide als erste „Gestaltwerdung“ des Atems des Lebens ähnlich dem „De“ im Daodejing): Die Ufer dürfen den Fluss halten, jedoch immer im Austausch mit allen Wassern des Lebens: allem, das lebt, allem, das ES gibt.


Wunder trifft zusammen mit Verwundbarkeit, der Durchlässigkeit für ES, für die All-Verbundenheit, für die Liebe: Öffnung der eigenen Form. Und Wunder trifft zusammen mit einem Wiedergewinnen der Selbstverantwortung an der tiefsten heiligen, weil heilsamen, Quelle (vgl. Alfred Delp SJ, Gesammelte Schriften, ed. Roman Bleistein, Bd. IV, Frankfurt/M. ²1985, S. 26: „Wir bleiben in den schönen und in den bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen. Das gilt … für alles Schöne und auch für das Elend. In allem will Gott Begegnung feiern …“ – „Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen.“: Wasser des Lebens):


Das Wunder aber sagt daraus im Kern: „Ich sehe DICH!“ – auch natürlich die Beeinträchtigung, das Zerbrochene – vor allem aber: Dich in Deiner Fülle und Ganzheit, in Deiner Form und Deiner Wandelbarkeit, in Deiner Ergebung und Deiner kreativ-geburtlichen Verbundenheit. Wenn ich nur für einen Moment einen anderen Menschen so in ihrer*seiner Essenz spüre, wahrnehme, „sehe“ und das irgendwie in unser „Zwischen“ spiegele, dann ist schon DIESES, das verwandelt. Das gilt ähnlich auch für den inneren Dialog, sofern er aus meiner Herzmitte wird und damit aus dem uns alle verbindenden Schatz, der in meiner Tiefe auf mich wartet, dem Delp‘schen oder Merton‘schen Brunnenpunkt (vgl. David Steindl-Rast OSB, Vernetzungen. Eine Begegnung mit Thomas Merton, Darmstadt 2024, S. 15-18).


Jetzt kann die Heilung geschehen. „Geh und reinige dich.“ (Markus-Evangelium 1, 40-44). Lass dich rufen und kehre um genau zu dem Punkt, wo ES ruft, zu dem du dich bislang nicht hingetraut hast oder an dem du immer wieder vorbeigelaufen bist oder von dem du vor lauter geprägter Sprache und geprägten Vorstellungen gemeint hast, er sei eh nicht erreichbar … – empfange den Segen und werde zum Segen. Spüre die Veränderung, die der dir liebe Ort, die dir liebe Person erfährt, wenn du den Ort, wenn du diese Person, diese Liebe wirklich Liebe werden lässt, indem du sie, ihn segnest.


Das war ja unser Arbeitsauftrag für den Samstag, wie er sich mir eingeprägt hat (aber wurde er so auch wirklich gesagt?): Aus der Stille der Dunkelheit, der mystischen Dunklen Nacht, dieser feinen hohen Verdichtung der Essenz unseres Wesens, und aus dem Drängen der Quelle in uns jenseits noch unseres Bewusstseins, aufzubrechen an eine oder mehrere Stellen des in Steyr so wunderbar reichhältig Fließenden, einzuschmelzen, einzutauchen gar in das Fließende, in das Haltende, in das Blühende, in das Reine und Weise (die Schwäne nach indischer Lesart), unser Herz zu öffnen für den Segen und zu segnen.


Schon am Freitag war viel an Offenheit und Liebe und Verbundenheit spürbar, ein gemeinsamer Raum des Geschenkes, Geschenkes auch der Zeit. Nach einem sehr merkwürdigen Traum war ich in dem so herzensintensiven aussendenden Vortrag von Andrea nur teilweise anwesend; meine bewusstes Bewusstsein konnte ihn nicht aufnehmen: und doch ist er, bist Du, Andrea, damit mir noch sehr eindrücklich im Gefühl: das Wunder begann zu werden und zu wirken.


Nach den Eindrücken aus unseren ersten Pilgerwegen in Steyr und dem Austausch dazu gerieten die neuen Erfahrungen mit den alten entmündigend aufnehmen wollenden Formgestalten in der Schwarm-Übung in Verwirbelung, für den Moment nicht klein und friedlich vorbeiziehend wie am Mühlbach, sondern in Verwirrung und Klage und Beschwerde aufbrechend. Das gehört offenbar notwendig dazu: die Verwirrung als das Los-Zittern alter Lebensirritationen, die Klage überhaupt als Reinigung und die Beschwerde als ein Eingang zum Heiligen (kaboth im Hebräischen, das ja auch mit dem Schwer-Werden, dem Verdichten, dem Auf-den-Boden-Bringen zu tun hat).


Danach war Platz für einen für mein Gefühl jetzt viel entspannteren, freieren neuerlichen kontemplativen Gang zu einem der Gewässer. Etwas hatte sich noch einmal geändert, fast unmerklich. Für mich, dann sogar im Geschenk einer „zufälligen“ Begegnung, im (dann gemeinsamen) Schauen und Lauschen und Spüren der ganz feinen Gegenwart des göttlichen Seins, stellte sich eine wundersame erfüllte Friedlichkeit ein – die Sinne für einen guten tiefen Moment sanft und offen und zeitlos: Es ist alles da. Wasser des Lebens. Fülle des Lebens.


Wundersam: Perspektivenwechsel. Kontemplierung in der durchlässigen Weite des liebevollen Verbundenseins. Transformation des Energie-Levels. ES ist wieder ein Stückerl wirklicher geworden …


In Zwischenwasser wurde zuerst von einem Wunder gesprochen, als eine Teilnehmerin des Seminars, die in den Wochen zuvor sehr mit Depressionen zu ringen hatte, nach ihrer Entäußerung zuvor ganz aus sich und der Tiefe ihres Herzens auf das Lebensschöne (da in der konkreten Gestalt der duftenden Pfingstrosen in der Kreismitte) zu sprechen kam. Das war spürbar neu gegenüber dem depressiven Blick und sprach jetzt „öffentlich“ den akuten Prozess der Verwandlung aus in seiner ganzen Kostbarkeit. An dieser Kostbarkeit ändern auch allfällige Rückschläge nichts, denn jeder kostbare Moment baut in der Stille jener „dunklen“ Verborgenheit auf jedem anderen auf.


Und das ist dann auch der grundlegende Eindruck, den ich aus der Begegnung mit Euch in Steyr habe mitnehmen dürfen, ganz sprachlos zunächst ob dieses Wunders: Das Bild eines bewaldeten Berghangs, davor ein schmaler Uferstreifen und dann ein Enns-artiger „uralter“ Fluss – immer derselbe – nie derselbe. Über den Berg, scheinbar unverrückt seit Jahrtausenden, der Theologe kann nicht umhin, ihn auch als die Kirche zu denken – über den Berg senkt sich Plasma-gleich warmes Licht bis zu dem Uferstreifen des gestanden-bodenständigen kostbaren liebevollen Menschlichen:


Die neue, schöpferische Energie, die derzeit schon am Wirken ist und das Alte wohl oft sehr skurril und leider nicht immer ungefährlich noch einmal auf die Spitze treibt. (Die Johannes-Apokalypse des Neuen Testamentes erzählte schon Ähnliches. Erzählerisch nach der All-Umwälzung, eigentlich aber wohl mit den oft fast verzweifelt krassen lebensnahen Metaphern und szenischen Bildern doch eher gleichzeitig: „Siehe, Ich mache alles neu“ (Offenbarung des Johannes, 21, 5) und der Geist (und) die Braut sprechen: “Komm. Empfange lebendiges Wasser frei.“ (22, 17 mit 22, 1f.)) – diese neue schöpferische Energie, die noch ohne Form ist, setzt hier ein Zeichen. Das Neue wurde inmitten aller allfälligen Verwirrung spürbar und gegenwärtig und wahr. Es ist wahr. Und weit mehr als „nur“ eine Hoffnung. Es ist Verwandlung. Es ist Wunder.


Was kann schöner sein?


Als ich vor 45 Jahren mein theologisches Studium begann – als damals sogenannter unwahrscheinlicher Gottesdienst-Besucher – gab es gerade von beiden großen Westkirchen frische, viel beachtete Kirchenstudien: umfangreiche Befragungen einer größeren repräsentativen Auswahl der Kirchenmitglieder zu ihrem Verhältnis zu Religion und Kirche. Diese sind je und je vielfältig erneuert worden, auch immer wieder in Österreich. Doch ist aus ihnen nichts wirklich zu Herzen Gehendes gefolgt, sodass der Niedergang munter fürbass schritt. Diffuse Wüstenwanderung.


Kirche wurde da freilich die ganze Zeit über egal von wem überwiegend im Kosmos des Öffentlichen gedacht und nicht im Kosmos der Pflege (diese Begriffe hat Marlene Streeruwitz geprägt, etwa im Handbuch für die Liebe, Frankfurt/M. 2024). Ausgenommen sind z.B. manche Klöster – etwa das Priorat St. Ansgar in Nütschau zwischen Hamburg und Lübeck, in dem mir vor Jahr und Tag das Leben gerettet wurde. Oder das Dominikanerhaus in Steyr, und das, obwohl die Dominikaner als Predigerorden dem Kosmos des Öffentlichen sehr viel näher zu sein scheinen, doch Gebet und Kontemplation und ihr „Adsum“: ihre Ergebung in Gott strahlt im Stiegenhaus unauslöschlich aus den Wänden. Dass die Diözese dafür ebenso wenig ein Gespür zu haben scheint wie für die Menschen, die genau dort oder ein bissel weiter rundherum von den Wassern des Lebens darreichen, das stimmt schon sehr traurig:


Der Kosmos der Pflege – die Bereiche der Seelsorge, der Erschließung und Offenhaltung der Quelle, des Wachstums der Liebe, des Vertrauens, der Hoffnung, der Räume des Miteinander-Schwingens, in denen ich verwundbar sein darf und also mich in wirklicher Seelentiefe öffnen kann – und dies alles noch vor der Caritas – der Kosmos der Pflege als spiritueller Kern scheint über die Zeit dem kirchlichen Bewusstsein völlig abhanden gekommen zu sein, obwohl er noch immer die Kirche trägt.


Jetzt, mit Euch, hat sich etwas komplett umgedreht: Die Pflege durch die Achtsamkeit der Herzen fand Raum und Zeit und Ermutigung und wurde dem verrückt gewordenen Kosmos des Öffentlichen gratis zuteil. Meine Beschreibung ist und bleibt sehr brüchig und dürftig, aber:


Es spürt sich so anders an!


Nach der Begegnung mit Euch und mit den Wassern und Ufern und Stiegen von Steyr ist ein Moment der Verliebtheit in mir, mystisch-fein, tief dankbar und immer wieder neu spürbar. ES ist wieder da, neu angekommen, das Herz berührend, tragend. Im Dominikanerhaus, einem jener Steine, die die Kirche verworfen hat und die zum Eckstein geworden sind … (Das wirkte sich übrigens sogar auf die Predigt in der Sonntagabend-Messe in St. Marien aus, nur ein paar Meter entfernt, in der der liebenswerte Priester offenbar völlig ungeplant so emotional und biographisch offen wurde, dass er sich fast schon erschüttert über sich selbst wunderte.)


Habt Dank und seid gesegnet.


***


Zum Schluss zusammenfassend noch einmal drei Hauptpunkte des Wunders von Steyr:


1. Der Austausch der Kosmen des Öffentlichen und der Pflege in der Priorität: Endlich stand ganz selbstverständlich das Recht des Liebens, GeliebtWerdens und Lebens an sich an erster Stelle und nichts sonst.


2. Endlich beginnt spürbar innert der Kirche diese Wandlung, kommt tief wurzelhaft in der Erde ihres neuen Ufers an und legt zugleich neu die Quelle frei jenseits der Strukturen, deswegen freilich wohl auch nicht von ungefähr an einem „prekären“, gefährdeten Ort, der doch Eckstein werden darf, und das auch noch fast komplett ehrenamtlich.


3. Zugleich ist dies auch gesamtgesellschaftlich von eminenter Bedeutung, da hier wieder der eigentliche Raum jener Begegnung freigelegt wird, die – losgelöst von allen Konzepten und in freier Dankbarkeit für alles, das Leben will – das Sein und Wachsen im GeliebtWerden ermöglicht und dabei zugleich die permanente Heilung alter und wiederkehrender Gewalt ebenso wie die permanente Heilung von Zerstörung tradierenden Traumata.


Es ist dies der bei aller guter Medizin essentiell spirituelle und gültige Heilungs-Auftrag, den Jesus seinen Jüngern auf den Weg gab: Lukas-Evangelium 9, 1f.; 10, 5-9; vgl. Matthäus 10, 1 + 8).




Klaus Petersen, 15. Juli 2025

 
 
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